Für die Opfer der "Euthanasie"-Verbrechen im Nationalsozialismus Baden-Württemberg

In Grafeneck begann im Jahr 1940 die sogenannte Aktion "T4". In einem Jahr wurden hier unter nationalsozialistischer Herrschaft 10.654 Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen ermordet. Heute existiert in Grafeneck eine Gedenkstätte und ein Dokumentationszentrum zur Erinnerung an die Opfer und gegen das Vergessen in den Diskussionen der Gegenwart.

Panoramabild des Schlosses Grafeneck im Jahr 1930. Zu sehen ist das drei-flügelige Schloss auf einer Anhöhe, umgeben von Wald.
Das Foto zeigt einen von der Reichspost der T4-Organisation überlassenen roten Bus. Die Aufnahme entstand bei einer der Deportationen von Heimbewohnern aus der Stiftung Liebenau nach Grafeneck im Herbst 1940. Im Vordergrund zu sehen sind mehrere Personen, darunter zwei Männer in weißen Mänteln, die Formulare auszufüllen scheinen. Am rechten Bildrand steht ein Mann mit einer weißen Schürze. Im Hintergrund steht ein roter Bus.
Zur Landwirtschaft gehörendes Gebäude ("Remise"), in das zur Jahreswende 1939/40 eine Gaskammer eingebaut wurde. Das Bild zeigt ein längliches, weißes Gebäude. Links am Gebäude befindet sich eine Tür, rechts daneben drei Tore aus Holz. Die beiden mittleren Tore sind geöffnet.

Lokale und regionale Bezüge

Das Gedenk- und Namensbuch von Grafeneck wurde erstmals 1994 veröffentlicht. Seit 2009 existiert ein zweites Buch. Es enthält die vielen hundert Herkunftsorte der Opfer von Grafeneck 1940. Das Bild zeigt ein helles Buch. Auf dem Umschlag steht "Herkunftsorte der Opfer von Grafeneck 1940. Stand 2009".

Die 10.654 Opfer von Grafeneck stammten aus allen großen Städten und einer Vielzahl kleinerer Gemeinden des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg und darüber hinaus.
Wie Theodor K. verbrachten sie ihre Schulzeit oder ihr Arbeitsleben an diesen Orten. Sie schlossen Freundschaften, verliebten sich, heirateten und gründeten eine Familie. Andere wuchsen schon als Kinder in einer Anstalt auf, aber blieben vielfach durch ihre Verwandten oder Freunde mit ihren Herkunftsorten und deren Bewohnern verbunden.
Manche Menschen hingegen erhielten keinen Besuch oder konnten die Klinik bzw. Behinderteneinrichtung nur selten verlassen.

Einen Einblick in das Leben von Psychiatrie-Patienten, nicht nur während der 1930er Jahre, bietet das Museum MuSeele-Museum für Psychiatriegeschichte und Psychiatriegeschichten im Christopsbad in Göppingen oder andere wie das Württembergische Psychiatriemuseum in Zwiefalten.
In Göppingen erinnert ein Stolperstein vor dem früheren Wohnhaus der Familie Theoder K.s an sein Schicksal. Auch in vielen anderen Städten wurden Stolpersteine für „Euthanasie“-Opfer an den ehemaligen Wohnorten oder Geburtsorten verlegt.
In ganz Baden-Württemberg existieren heute Gedenkorte, die an die Opfer der „Euthanasie“-Verbrechen in Grafeneck erinnern. Sie befinden sich auf Friedhöfen wie dem zentralen städtischen Friedhof in Karlsruhe oder dem Friedhof der Stadt Konstanz. Aber auch in den Behinderteneinrichtungen und Kliniken, aus denen die Opfer deportiert wurden, entstanden ab den 1980er Jahren eigene Formen des Gedenkens.

Viele der über 10.000 Opfer der „Euthanasie”-Morde sind bis heute namenlos geblieben. Jahrzehntelang schlummerten sie in Archiven des Landes, der Kommunen oder auch der Einrichtungen aus denen die Menschen deportiert wurden. Im Grunde genommen begann erst seit 1990 eine zentrale Rekonstruktion der Opfernamen. Diese ist bis zum heutigen Tag noch nicht abgeschlossen. Über einzelne Opfer entstanden in den letzten Jahren biographische Arbeiten, von kurzen Lebensskizzen bis hin zu Biographien. Zugrunde lag hierbei oftmals ein lokalgeschichtlicher Ansatz oder aber auch ein sehr persönlicher und familiengeschichtlicher.

Bekannt ist in diesem Zusammenhang die Lebensbeschreibung der Emma Zeller, die 1889 in Stuttgart geboren, nach achtjährigem Anstaltsaufenthalt in Weinsberg im Juni 1940 in Grafeneck ermordet wurde. Eine biographische Würdigung seines Lebens und seines Werkes existiert auch für den 1864 im badischen Offenburg geborenen Kunstschlosser Franz Karl Bühler. Bühler, der 1896 geistig erkrankte und von Verfolgungsängsten gequält, verbrachte – vor seiner Ermordung in Grafeneck - Jahrzehnte seines Lebens in den badischen Heilanstalten wie der Illenau und Emmendingen. Dort beschäftigte er sich mit Malerei und schuf ein umfängliches Werk, das in die Sammlung des Heidelberger Arztes und Kunsthistorikers Hans Prinzhorn eingegangen ist.

Weniger bekannt, aber ebenso erschütternd sind die die Beschreibungen der Lebensschicksale des Tübinger Gerichtsassesors Kolomann K. und des bis 1933 für das Fach Evangelische Theologie in Tübingen eingeschriebenen Georg Mall. Kolomann K. wurde 1935 zwangsweise aus der Tübinger Universitätsnervenklinik in die südwürttembergische Heilanstalt Weißenau eingewiesen und am 9. September 1940, nur wenige Tage vor seinem 37. Geburtstag, von dort nach Grafeneck überstellt.

Für die vielen tausend bis heute ungenannten Opfer sollen stellvertretend drei kurzbiografisch porträtiert werden: der am 29. Juni 1904 geborene Theodor Heinrich K. (Charkow 1904 – Grafeneck 1940), Mathäus Lorenz Seitz (Oeschelbronn/Pforzheim 1877– Grafeneck 1940) und Eberhard Georg Wilhelm von Goerne(Potsdam 1897 – Grafeneck 1940).